Texte sind Ego-Dokumente par excellence. Unmittelbar oder zwischen den Zeilen enthalten sie Informationen über den Autor, egal, ob der sie nun den Nachgeborenen preisgeben möchte oder nicht. Es gibt mehrere Ebenen von Identität; selbst die oberflächlichste davon lässt sich oft nur entschlüsseln, wenn Texte verfügbar sind. Wollen wir zu den tieferen Schichten von Identität vordringen, der Frage, welchen Gruppen oder Traditionen sich Individuen oder Kollektive zugehörig fühlen, dann sind Texte oft unentbehrliche hermeneutische Türöffner.
Texte, gleich welcher Gattung, sind damit wichtige Dokumente von Identität. Sie richten sich aber praktisch immer in erster Linie an ein zeitgenössisches Publikum; sie wollen ihre Leser erreichen, überzeugen und auf ihre Seite ziehen. Oft besteht ihre Funktion darin, ein Wir zu befestigen oder überhaupt erst zu begründen. Texte sind also nicht nur Dokumente, sondern häufig auch Konstituentien von Identität.
Der Vortrag möchte der Doppelfunktion von Texten aus der Perspektive des Historikers nachspüren: ihrer Identität dokumentierenden wie konstituierenden Dimension. Als Beispiel soll die Romrede des Aelius Aristeides (117 – ca. 181 n. Chr.) dienen, die den Blick eines römischen Bürgers und griechischen Intellektuellen auf das römische Imperium in antoninischer Zeit “nachsehen” hilft, zugleich aber ein Idealbild von diesem Imperium und dem gebildeten Bürger darin entwirft.