Der Beitrag analysiert das Phänomen der Mehrdeutigkeit von Bildern am Beispiel der figürlichen Reliefs der monumentalen Grabbauten des 2. und 3. Jahrhunderts nach Christus aus der Provinz Gallia Beligca. Im Zentrum steht die Frage, wie die physischen Gegebenheiten dieser Monumente sowie das an ihnen zu beobachtende komplexe Zusammenspiel unterschiedlicher Dekorationsmodi ein polyvalentes mediales Angebot schaffen, das auf spezifische Betrachter in unterschiedlichen Lebenssituationen zielt.

Die Denkmäler aus der Gallia Belgica bieten sich auf Grund ihrer einzigartigen und facettenreichen Medialität von Bild und Text sowie Figurenszenen und Dekorationselementen für eine bildwissenschaftliche Studie auf der Grundlage der Rahmentheorie und des Affordanzkonzeptes an. Die möglichen Rezeptionsrahmen der gallo-römischen Denkmäler und die daraus zu schöpfenden kulturhistorischen Deutungen sind bislang noch nicht erforscht; bei den bisherigen Untersuchungen standen vor allem typologische Fragestellungen im Vordergrund, die als Grundlage für kulturhistorische Interpretationen dienten.

Wir können davon ausgehen, dass die Bauten als Gedächtnisort für die Familie, Statussymbole ihrer Auftraggeber, weithin sichtbare Landschaftsmarker bzw. Orientierungspunkte und Werbetafel für das erfolgreiche Familienunternehmen konzipiert waren und somit in ihrem Denkmalcharakter polyvalent sind. Doch fehlt bisher das Verständnis dafür, wie die einzelnen Elemente zu diesen Narrativen beitragen bzw. ob sie diese Narrative jeweils in gleichem Maße und für alle Rezipienten in gleicher Form speisen.

Die figurenreichen Szenen werden von Bauornamentik und figürlich und vegetabil geschmückten Pilastern eingefasst. Bilder und Bauornamentik überziehen in einem dichten Gewebe den kompletten Baukörper. Die Szenen werden dabei auf unterschiedliche Art und Weise von Mobiliar, Architekturelementen oder Landschaftselementen gerahmt. Diese Rahmen erfüllen unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Funktionen. Sie gliedern und begrenzen den Raum ebenso wie sie ihn für den Blick des Betrachters erweitern und öffnen, indem die Figuren diese Grenzen auf unterschiedliche Art und Weise durchbrechen. Plastisch angegebene Vorhänge, die sich von der Wand zu lösen scheinen rahmen etwa die Innenräume der so genannten Zahlungsszenen und konstruieren gleichzeitig Durchlässe, durch die Personen das Bild betreten und verlassen. Warenbeladene Maultiergespanne durchschreiten Torbögen und bewegen sich durch die Landschaften. Kleine, erst auf den zweiten Blick sichtbare Überschneidungen der Bildgrenzen stellen dabei eine Verbindung zwischen einzelnen Bereichen her. Dadurch entsteht für den Betrachter der Eindruck konstanter Bewegung in den Bildern, die die einzelnen Handlungsräume miteinander verbindet und den Blick des Betrachters um das Denkmal herumführt und zugleich eine Kommunikation mit diesem initiiert.

Der Beitrag arbeitet die verschiedenen Mechanismen des Wechselspiels der Bilder untereinander sowie ihre verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten und Funktionen in der Kommunikation zwischen Auftraggeber und RezipientInnen heraus und stellt die Frage, wie sich die Bildsprache der Grabdenkmäler aus der Gallia Belgica im Vergleich zu anderen Denkmalgruppen sowie im reichsweiten Vergleich verorten lässt. Die im Rahmen des Beitrags angestellten Überlegungen sind Teil meines laufenden Habilitationsprojektes zur Medialität römischer Grabdenkmäler.