Digitale Modellierung antiker Bauten

Wie archäologische Hypothesen in Visualisierungen übersetzt werden

 

Die Rekonstruktion der Vergangenheit, wie sie Altertumswissenschaftlerinnen und Altertumswissenschaftler versuchen, fand seit jeher einen wirksamen visuellen Ausdruck in Zeichnungen und Modellen. Seit einigen Jahrzehnten spielt die digitale Modellierung eine immer wichtigere Rolle in der Archäologie. Auch in mehreren Topoi-­Forschungsprojekten fließen die Erkenntnisse von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in die Gestaltung digitaler Modelle ein – und umgekehrt können solche Modelle im Kontext interdisziplinärer Altertumsforschung auch neue Fragen anstoßen.

Rekonstruktionshypothese des Taq-e Kisra in Ktesiphon | Visualisierung: Lengyel/Toulouse 2015

Die Arbeit mit Visualisierungen spielt eine wichtige Rolle bei der Vermittlung von altertumswissenschaftlicher Forschung an eine interessierte Öffentlichkeit. Virtuelle Rekonstruktionen des Sasanidenpalastes von Ktesiphon aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. sind auch in einer Ausstellung des Topoi-Projekts “(C-3-1) Ktesiphon. Vermittlung von archäologischer Forschung im Museum” im Museum für Islamische Kunst zu sehen. Dabei geht es insbesondere um die Bedeutung Ktesiphons in der späteren Architekturtradition. Visualisierung: Lengyel/Toulouse 2015

 

Um Modelle zu schaffen, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, gilt es zahlreiche Aspekte zu bedenken. Die Technologie steht zur Verfügung: Mit dem “computer aided design” (CAD) können dreidimensionale Strukturen wie Mauern, Bauwerke und ganze Städte hervorragend dargestellt werden. Längst verfallene und nur in den Hypothesen der Forscherinnen und Forscher existierende Gebäudekörper und Räume können damit wieder erlebbar werden. Doch welche Realität ist es, die hier ersteht – die der Vergangenheit oder die der Forschung? Was lässt sich sicher darstellen und welche Elemente bleiben besser unrekonstruiert? Auch mit diesen Fragen müssen sich die Architekten Dominik Lengyel und Catherine Toulouse auseinandersetzen, die an der Fakultät für Architektur, Stadtplanung und Bauingenieurwesen der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg im Bereich Visualisierung forschen und lehren – er als Lehrstuhlinhaber, sie als Akademische Mitarbeiterin. Gemeinsam haben sie bereits mehrere Modelle für Topoi entwickelt, darunter das 2011 unter anderem im Berliner Pergamonmuseum ausgestellte erste wissenschaftliche Modell des gesamten Stadtbergs von Pergamon.

Modell des antiken Pergamon (um 200 n. Chr.) | Visualisierung: Dominik Lengyel, Catherine Toulouse

Ein Blick auf ein Modell des antiken Pergamon (um 200 n. Chr.), gewissermaßen ein Luftbild der Stadt. Der unterschiedliche Detaillierungsgrad bei der Darstellung von Siedlungsbereichen und Einzelgebäuden gibt wieder, wie genau das Wissen ist, das die Forscher über die jeweiligen Strukturen haben: Für manche Bereiche sind umfangreiche Funde erhalten, die ein recht differenziertes Bild erlauben; die Rekonstruktion anderer Bereiche beruht dagegen stärker auf Hypothesen, weshalb sie schematisch dargestellt werden. Das in Topoi entstandene Modell ist eines der komplexesten seiner Art. Visualisierung: Lengyel/Toulouse 2012

“Den Ausgangspunkt bilden die Befunde. Wir erhalten von den Bauforschern und Archäologen Zeichnungen und Fotos der jeweiligen Situation vor Ort und umfangreiche Informationen auch über das Gelände. Dazu erläutern sie uns, was sie über den ehemaligen Zustand eines Gebäudes aus Texten oder Bildern wissen und welche Überlegungen zur Rekonstruktion sie bereits angestellt haben”, beschreibt Dominik Lengyel den Beginn der Arbeit. Das Ziel ist die Erstellung eines Modells, das sich der Idee des ursprünglichen Bauwerks so weit wie möglich annähert. Die aus dem zunächst noch relativ abstrakten Computermodell abgeleiteten Perspektiven sollen den ehemaligen Eindruck einzelner Ansichten oder Raumsituationen möglichst plastisch wiedergeben. “Dabei kommt es darauf an, eine Perspektive zu wählen, die eine Person im Raum tatsächlich hätte haben können, und auch die Lichtsituation wiederzugeben, wie sie plausibler weise durch die Fenster und durch eventuelle künstliche Beleuchtung geherrscht haben kann”, erklärt Catherine Toulouse. Gleichzeitig sei es wichtig, das Modell nicht detaillierter zu gestalten, als es Befunde und wissenschaftlich begründete Hypothesen hergeben. Dies betrifft beispielsweise die Farben oder die Ausschmückung der Wände: Üblicherweise halten wir ein solches Modell antiker Bauwerke monochrom, also häufig in Graustufen, um zu vermitteln, dass wir über die realen Farben und Oberflächenstrukturen zu wenig wissen. Es scheint auch kein blauer Himmel durch die Fenster. Hier bleiben wir zurückhaltend, damit bewusst wird, dass man es mit Abstraktionen, nicht mit konkreten Realitäten zu tun hat. Ein Schwarzweißfoto trifft eben keine Aussage zur Farbigkeit.”

Catherine ToulouseDominik Lengyel
Die Architekten Prof. Dipl.-Ing. Dominik Lengyel und Dipl.-Ing. Catherine Toulouse erforschen und lehren Visualisierung an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. In Topoi erarbeiten sie gemeinsam mit den Altertumswissenschaftlern Modelle zu verschiedenen Forschungsprojekten. Foto: Lengyel/Toulouse

Den engen Dialog, den sie mit den Altertumswissenschaftlern führen, beschreiben Lengyel und Toulouse als eine Art Übersetzungstätigkeit, denn immer wieder gilt es, das Wissen und die Hypothesen der Archäologen visuell nachzuvollziehen und dabei auch die Fragen, die sich aus ihrem Blick als Architekten ergeben, einzubeziehen. “Für unsere Arbeit ist es grundlegend, nicht nur auf das einzelne Detail zu achten, sondern die großen Achsen und Raster zu identifizieren, die das Gebäude gegliedert haben könnten. Auch der städtebauliche Kontext ist für uns wichtig, um die Wirkung der Gebäude richtig wiedergeben und damit beurteilen zu können”, umreißt Catherine Toulouse diese Perspektive. Und sie fügt eine wichtige Differenzierung hinzu: “Bei der Suche nach einer angemessenen Wiedergabe des ursprünglichen Bauwerks zielen wir fast immer auf die Rekonstruktion dessen ab, was die Erbauer intendiert haben. Denn dabei können wir von – jeweils zeitgenössischen – architektonischen und städtebaulichen Grundprinzipien ausgehen. Die reale Erscheinung eines Hauses dagegen ist immer auch durch Zufälle geprägt, durch kleine Veränderungen, die sich auf der Baustelle ergaben, oder später durch kleinere Zerstörungen oder Umbauten. All das lässt sich meist nicht mehr nachweisen.”

Die Modelle haben durchaus eine illustrative Funktion, etwa um Laien etwas von dem Wissen der Archäologen zu vermitteln. Sie sind aber insbesondere von großem wissenschaftlichem Wert, da sich mit ihnen archäologische Hypothesen überprüfen lassen und sie neue Forschungsfragen aufwerfen: Welche Bauwerke etwa konnte ein antiker Betrachter von einem bestimmten Ort aus sehen? Wie beeinflussten die Gebäude einer Stadt die Bewegungspfade ihrer Bewohner? Und welche Rolle spielte das natürliche Licht innerhalb einzelner Bauwerke? “Wir hören nicht eher auf, als bis die Visualisierung widerspruchsfrei ist – in sich und gegenüber allem, was die Archäologen wissen. Gleichwertige sich widersprechende wissenschaftlich begründete Hypothesen werden natürlich jeweils eigenständig weiterverfolgt. Aber erst wenn unsere altertumswissenschaftlichen Partner der Überzeugung sind, dass die Visualisierung ihren wissenschaftlichen Hypothesen entspricht, können wir sie vertreten”, sagt Dominik Lengyel

Text: Dagmar Deuring