Vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum zweiten Weltkrieg brachte ein großer Teil von Altertums- und Sprachwissenschaftlern die Herkunft der indoeuropäischen Grundsprache in Verbindung mit konkreten archäologischen Funden, die als Kultur mit Schnurkeramik zusammengefasst werden. Entweder wurden Wanderungen von mobilen Viehzüchtern aus der Steppe postuliert, mit denen neue Elemente wie die schnurverzierte Keramik, das Errichten von Hügeln über Gräbern, Viehzucht usw. nach Ostmittel- und Zentraleuropa gelangten. Oder – und das war für lange Zeit die vorherrschende Ansicht – man ging von Expansionen aus dem zentralen Verbreitungsgebiet der Kultur mit Schnurkeramik aus, die bis in die Zone nördlich des Schwarzen Meeres führten. In den 1950er Jahren brachte dann vor allem M. Gimbutas das Modell der Reiternomaden auf, die, aus der osteuropäischen Steppe kommend, die sesshaften Nachbarn in großen Teilen Südost- und Ostmitteleuropas überfielen. Gimbutas” Thesen stießen sowohl auf heftige Ablehnung als auch begeisterte Zustimmung, selten aber zu einer differenzierten Abwägung der Aussagekraft der jeweils herangezogenen archäologischen Zeugnisse.

Während in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Migrationen nur noch selten als eine wichtige Größe zur Erklärung von Kulturwandel in der Altertumsforschung angeführt wurde, somit auch die Diskussion um die Zusammenführung von sprachhistorischen und archäologischen Argumentationssträngen stark zurückging, wurden vor kurzem neue Konzepte vorgelegt. Es werden nicht einzelne Elemente aus der indoeuropäischen Grundsprache im archäologischen Befund gesucht, sondern die Kombinationen mehrerer Merkmale, die als Institutionalisierungen bestimmter Aspekte in sozioökonomischen bzw. religiösen Sphären der Gemeinschaften aufgefasst werden, sind entscheidend.

Ich stelle die Forschungsgeschichte und ihre Kontroversen vor, in der der osteuropäischen Steppe eine bedeutende Rolle bei den vermuteten indoeuropäischen Wanderungen zukommt, und werde dabei ebenfalls auf die russischsprachige Historiografie eingehen. Dabei lege ich besonderes Gewicht auf die zwei Konstanten, die in der Argumentation über die letzten 150 Jahre deutlich werden. Die erste Konstante prägte die Vorstellung eines einzigen ersten Zentrums, in dem das Urindoeuropäische gesprochen wurde. Dazu wurden passende archäologische Quellenbestände gesucht, meist in Form einer archäologischen Kultur, die über ein relativ weites Gebiet verbreitet war, von dem ausgehend eine Diffusion stattgefunden haben soll. Außerdem plädierte man für eine mobile Lebensweise der (Proto-)Indoeuropäer als eine Voraussetzung für die Verbreitung von materiellen und sprachlichen Elementen über weite Räume hinweg, doch bildete eine mit Mobilität verbundene Subsistenzform gleichzeitig auch die Konsequenz einer entsprechenden Ausbreitung. Am Ende bleibt zu fragen, ob mit den jüngst vorgetragenen Thesen, die eine Ausbreitung von Sprachen mit der Institutionalisierung bestimmter Elemente in prähistorischen Gemeinschaften erklären, nicht alte Ideen in neuem Gewand vorgestellt wurden.